Ludlum Robert by Das Sigma Protokoll

Ludlum Robert by Das Sigma Protokoll

Autor:Das Sigma Protokoll [Protokoll, Das Sigma]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2012-07-08T12:01:02+00:00


32. KAPITEL

Paris

Das zwanzigste Arrondissement war der östlichste und heruntergekommenste Stadtteil von Paris. Er erstreckte sich über die Hänge eines Hügels an der Périphérique genannten Ringautobahn, die gleichzeitig die Stadtgrenze markierte. Im 18. Jahrhundert befand sich hier die Winzergemeinde Charonne. Im Laufe der Jahre waren die Weinhänge kleinen Häusern gewichen, die ihrerseits hässlichen Betonbauten Platz machen mussten. Ein Straßenname wie Rue des Vignoles wirkte in diesem verrotteten Stadtviertel auf lächerliche Weise deplatziert.

Die Reise nach Paris hatte Ben einige Nerven gekostet. In jeden zufälligen Blick fantasierte er eine Bedeutung hinein, und hinter der Langsamkeit der Zöllner vermutete er einen Trick, der unweigerlich mit ihrer Verhaftung enden musste. Anna hatte mehr Erfahrung mit der Sturheit von Bürokratenschädeln, die eine effiziente Umsetzung von Sicherheitsrichtlinien eher behinderten denn beförderten. Sie war nicht im Mindesten überrascht, als sie die Kontrollen problemlos hinter sich brachten. Dass die Lage sich in ein paar Tagen völlig anders darstellen würde, war ihr allerdings genauso klar.

Erst in dem überfüllten Shuttle-Zug vom Flughafen de Gaulle in die Innenstadt löste sich die Spannung allmählich. Jetzt verließen sie gerade die Metrostation Gambetta und gingen an dem großen Gerichtsgebäude vorbei durch die Rue Vitruve in Richtung Rue des Orteaux. Dort bogen sie links ab. Links und rechts von der Rue des Vignoles zweigten schmale Straßen ab, die den Wegen folgten, die früher zwischen den Weingärten verlaufen waren.

Das südlich von Belleville gelegene Charonne war eines der unpariserischsten Stadtviertel von ganz Paris. Man traf hier mehr Afrikaner, Spanier und Menschen aus der Karibik als Franzosen Doch schon lange bevor die Einwandererwellen in diesen Teil der Stadt geschwappt waren, hatte das Pariser Bürgertum geringschätzig auf das Viertel herabgeblickt. Es war ein Sammelbecken für Arme und Kriminelle gewesen; ein Ort, wo die durch die Unordnung im Zweiten Empire befeuerten Aufständischen der Pariser Kommune große Unterstützung gefunden hatten; ein Ort der Unzufriedenen und Vernachlässigten. Berühmt war das 20. Arrondissement allerdings für seinen Friedhof Père Lachaise, einen vierundvierzig Hektar großen Garten voller Grabsteine. Seit dem 19. Jahrhundert ließen sich Pariser Bürger, die zeitlebens nie einen Fuß in dieses Arrondissement gesetzt, geschweige denn dort gelebt hatten, auf dem Père Lachaise zur letzten Ruhe betten.

Während Ben und Anna wie Touristen durch die Straßen spazierten, nahmen sie die Atmosphäre des Viertels in sich auf. Die duftenden Falafelstände; den stampfenden Rhythmus nordafrikanischer Popmusik, der aus offenen Fenstern dröhnte; die Straßenhändler, die billige Strümpfe und alte, abgegriffene Ausgaben von Paris-Match verhökerten. So bunt die Kleidung der Menschen, so vielfältig war auch das Sprachengewirr. Man sah junge Künstler mit verschlungenen Bodypiercings, die sich ohne Frage für legitime Nachfolger Marcel Duchamps hielten, und Einwanderer aus dem Maghreb, die auf Arbeit hofften, um ihren Familien in Tunesien und Algerien Geld schicken zu können. Hin und wieder roch man den kräftigen, harzigen Duft von Marihuana und Haschisch, der aus einer schmalen Gasse auf die Straße wehte.

»Kaum zu glauben, dass sich ein ehemaliger Industrieboss in so ein Viertel zurückzieht«, sagte Anna. »Gibt’s keine schnuckeligen Strandhäuser an der Côte d’Azur mehr?«

»Ist doch perfekt«, sagte Ben nachdenklich. »Gibt nichts Besseres, wenn man untertauchen will.



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